• JUSTIN BOWER

 Der in Los Angeles arbeitende Künstler Justin Bower wurde bisher in zahlreichen Einzelausstellungen in Galerien und Museen weltweit gezeigt. Bedeutende Sammlungen haben seine Werke bereits aufgenommen. Stilistisch wird seine Kunst als Disrupted Realism beschrieben. 

Die Gemälde von Justin Bower sind Bilder unserer Gegenwart. Wie kaum ein anderer zeitgenössischer Künstler versteht er es, unseren Bezug zum Digitalen zu verbildlichen.  In welchem Verhältnis stehen unsere reale und unsere digitale Identität? Sind sie überhaupt voneinander zu trennen oder unauflöslich miteinander verwoben?  Spalten wir uns auf in mehrere Darstellungsweisen unseres Selbst?  Die Figuren in Justin Bower’s Bildern verraten uns nicht viel über ihre Identität oder Individualität. Vielmehr sind sie in ihrer Vielzahl geeint und machen deutlich- das Thema seiner Arbeiten ist ein strukturelles; eines, das nicht nur den Einzelnen betrifft.  Obwohl sie gespalten, durchbrochen und gedoppelt sind, scheint ihr Blick beständig zu bleiben, uns fest im Griff zu haben oder suchend aus dem Bildraum zu schauen. Sie hypnotisieren uns, obwohl sie vielleicht selbst ihren festen Bezugsrahmen verloren haben.  Justin Bower’s farbintensiver Kommentar zur Gegenwart findet auf dem Kunstmarkt großen Anklang. Ausgezeichnet durch die Aufnahme in den Katalog des Auktionshauses Christie‘s, erreichte er zuletzt für sein Werk The Magician auf Anhieb ein Vielfaches des Schätzpreises und ist somit in der Riege der ausgewiesenen Gegenwartskünstler angelangt. 

 „Das Bild als Blickrahmen fixiert eine Perspektive.“- so definierte noch der legendäre Kunsttheoretiker Leon Battista Alberti das Bild. Doch diese Vorstellung darf mit Blick auf Justin Bower’s Werke überdacht werden. Hier ist der Bildraum nicht klar definiert, verortet und ebenso wenig fixiert. Vielmehr scheint das Bild in seiner Modularität und optischen Vielseitigkeit den Betrachtenden zu fixieren. Die Bildinhalte werden in einem dynamischen Prozess auf ein Abstraktes reduziert und aufgelöst. Flüchtige, graphische Module dienen dabei als Bildbausteine und rufen die Wirkungsweise bildgebender Verfahren, wie die der biometrischen Gesichtserfassung, auf. Dabei befinden sie sich in einem Zusammenspiel mit malerischen, fast lyrischen Farbpassagen. Bower’s Arbeiten illustrieren den Wandel eines Bildbegriffs. Bilder der heutigen Zeit sind fluide, dynamisch und im Prozess begriffen, wie auch die Möglichkeiten für das Individuum zur Identifikation und der Erstellung eines Selbstkonzepts. Sie bieten gewissermaßen ein Bild des Bildes selbst und kennzeichnen es als nichtsprachlichen Wissensträger, der durchaus auch gesellschaftliches Kritikpotenzial bergen kann.

„Das Digitale“ vermengt sich mit der Vorstellung vom Selbst und der Gesellschaft, es ist Katalysator eines Wandels innerhalb funktionaler, aber auch ethischer und emotionaler Systeme. Dies vergegenwärtigt die Vielzahl der Figuren in Bower’s Werken, die zur Einheit werden und ein kollektives Schauen ermöglichen.  Die graphisch durchwobene Ästhetik des Digitalen mag darüber hinwegtäuschen, dass Bower nach altmeisterlicher Finesse mit Öl auf Leinwand arbeitet. Nur durch die minutiöse Beherrschung seines Handwerks gelingt ihm die Überwindung des Realismus, die Spaltung und Modularisierung der detailgetreu beschriebenen Figuren. Technik und Inhalt stehen in diesem Punkt in Dissonanz miteinander, was Reflektionsmoment bietet: Sind digitale Bilder doch eigentlichen Massenbilder, die sich in ihrer Anzahl endlos zu vervielfältigen scheinen, sich ihrer Art nach aber ebenso endlos wiederholen. Innerhalb dieses konzeptuellen Kontextes verleiht Justin Bower seinen „Abbildern des Digitalen“ durch mühevolle Handarbeit und den Individualisierungsgrad seiner Beschreibungen Gewicht; wirkt der Banalisierung des Bildes entgegen.

Er arbeitet in mehreren Schichten, die sich jeweils durch eine eigene Bildsprache auszeichnen. Häufig trennt dabei eine schematische Struktur die bunte, dynamische Figurenoberfläche von ihrem Grund, der nur schemenhaft zurückbleibt. Diese Art der Grundaufteilung erinnert an die Schematisierung des Bildraums, wie der US- amerikanische Künstler Frank Stella (geb. 1936) sie in den 1950er Jahren vornimmt. Es entsteht ein fiktiver Bildraum, der die Flächigkeit gleichzeitig betont und aufhebt. Der New Yorker Kunstkritiker Clement Greenberg formulierte es so:

Während die Alten Meister eine Illusion von Raum schaffen, die einem den Eindruck vermittelt, dort selbst hineinlaufen zu können, ist die Illusion, die ein Moderner schafft, eine, in die man hineinschauen kann, die man durchwandern kann – jedoch nur mit dem Auge“ (Essay Modernist Painting, 1960). 

Frank Stella “Lettre sur les aveugles I”, acryl on canvas, 358,1x358,1cm, 1974.© Christie´s

Frank Stella “Lettre sur les aveugles I”, acryl on canvas, 358,1x358,1cm, 1974.

© Christie´s

Frank Stella “WLID”, acryl on canvas, 1967.© Philipps

Frank Stella “WLID”, acryl on canvas, 1967.

© Philipps

Dieses Gestaltungsprinzip der Shaped Canvas nutzt Bower als minimalistische Umsetzung einer im Werk nicht mehr nachvollziehbaren Hand des Künstlers, was wiederum an die unsichtbaren Prozesse des Digitalen denken lässt. Er nutzt die Wirkung einer bemaßten Fläche, eines optischen Systems, um die organische Figurenbeschreibungen der oberen Malschichten kontrastierend hervorzuheben. Durch die Verortung der menschlichen Figur auf mehreren Malebenen erzeugt er dabei multidimensionale Effekte. Zudem ist der Bezug zu den Werken des irisch-britischen Künstlers Francis Bacon (1909-1992) schnell hergestellt, den Bower als Inspirationsquelle nennt. Bei beiden wird spürbar, was der Künstler mit den menschlichen Körpern macht, indem er ihnen die Integrität verweigert, sie deformiert. 

Diese biomorphe Bildsprache beschreibt bei Bower den Prozess der Transformation und schleichenden Symbiose des Individuums mit dem Digitalen. Das Subjekt wird aufgelöst in den vibrierenden Farben des Abstrakten. Einige Motive, wie die Ansicht und Körperhaltung dieser auf einem Sessel sitzenden, männlichen Figur, können als direkte Zitate der Gestalten, wie Bacon sie seit den 1960er Jahren malt, verstanden werden. 

Dies war kein ‚leeres Quadrat‘, das ich ausgestellt hatte, sondern vielmehr die Empfindung von Gegenstandslosigkeit“  - Kasimir Malewitsch 

Es ist erstaunlich, wie sich diese Vorstellung von Gegenstandslosigkeit in nahezu jedem Kapitel der Kunstgeschichte wiederfindet. 1915 malt der damals in Russland ansässige Künstler Kasimir Malewitsch das Schwarzes Quadrat, das bis heute zu den Ikonen der Bildgeschichte gehört. Was er als Vertreter des Suprematismus beabsichtigte, war nicht weniger als die Überwindung des Gegenständlichen in der Kunst. Dies beinhaltet die Reduktion der Darstellung auf die Farben Schwarz und Weiß – Empfindung und Abwesenheit von Empfindung. Auch Justin Bowers Hintergründe bilden mitunter schwarz-weiß codierte, geometrische Flächen, die seine Figuren in einen gegenstandslosen Raum versetzen. Diese Räume scheinen strukturiert nach dem Prinzip des Binärcodes der Informationstechnik, mittels dessen Inhalte jeder Art auf beispielsweise 0 und 1 reduziert werden können. War das Schwarze Quadrat bei Malewitsch Ausdruck der Überwindung der gegenständlichen Welt, eröffnet dieser Farb- und Formencode auch bei Bower einen Blick hinter die Oberfläche - hinter das „Display“ - und erinnert an die Vereinfachung nach der digitale Systeme operieren. Dynamik und Bewegung, Wandlung und Geschwindigkeit scheinen die treibenden Kräfte der Gegenwart zu sein. Jedoch spiegeln sich diese Erfahrungen bereits in der Kunst zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als der Futurismus die Figur in allen Dimensionen verzerrt. Sowohl die psychologischen als auch die körperlichen Effekte der Beschleunigung von Fortbewegungs- und Kommunikationstechniken werden tragendes Bildthema. Selbst 100 Jahre später verändern Erfindungen die Art und Weise wie wir Zeit und Raum wahrnehmen.

Die Gleichzeitigkeit menschlicher Daseinsweisen und die Erfahrung von stetigem Wandel finden Ausdruck in den vibrierenden Farben und Formen, mit denen Justin Bower seine Bilder gestaltet. Verdichtet ist dieses Prinzip in den Figuren, die von einem divisionistischem Malduktus erfasst und deformiert werden. Der neuaufgekommene Stilbegriff Disrupted Realism ist daher auf den ersten Blick nachvollziehbar - Justin Bower reflektiert die Auflösung der Person in den raum- und zeitverändernden Prozessen der digitalen Gegenwart. 

Francis Bacon “Three Studies of Lucian Freud”, oil on canvas, 198x147cm each panel, 1969.© Elaine Wynn

Francis Bacon “Three Studies of Lucian Freud”, oil on canvas, 198x147cm each panel, 1969.

© Elaine Wynn

Kasimir Malewitsch “Black Square”, Öl auf Leinwand, 76x76cm, 1915.© Tretjakow-Galerie

Kasimir Malewitsch “Black Square”, Öl auf Leinwand, 76x76cm, 1915.

© Tretjakow-Galerie

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