Summer Spaces of Perception:
The Contemporary Relevance of Light and Space and the Art of Sali Muller
In der Arbeit der luxemburgischen Konzeptkünstlerin Sali Muller begegnen wir einer Fortsetzung jener ästhetischen Herangehensweise, die in den 1960er Jahren an der amerikanischen Westküste unter dem Begriff „Light and Space“ eine völlig neue künstlerische Sprache entwickelte. Diese Bewegung entstand in einem einzigartigen kulturellen und technologischen Klima: In Südkalifornien – geprägt von Sonnenlicht, weiten Landschaften, neuen Materialien und dem Geist der Luft- und Raumfahrtindustrie – wandte sich eine Gruppe von Künstler:innen von den erzählerischen und gestischen Ausdrucksformen der vorherigen Jahrzehnte ab. Stattdessen stellten sie das Licht selbst, den Raum und die Wahrnehmung ins Zentrum ihrer Praxis. Künstler:innen wie Robert Irwin, James Turrell, Doug Wheeler und Mary Corse experimentierten mit transparenten Kunststoffen, Acrylglas, reflektierenden Oberflächen und präzise gelenktem Licht – Materialien, die zuvor eher der industriellen Fertigung angehörten – und schufen daraus eine neue Form der Raumkunst, die kein Objekt sein wollte, sondern ein Erlebnis.
Diese Bewegung verstand sich nicht nur als formale-ästhetische Innovation, sondern als radikale Neuausrichtung des Verhältnisses zwischen Betrachter:in, Raum und Kunstwerk. Man sollte ein Kunstwerk nicht mehr nur betrachten, sondern körperlich und geistig in es eintauchen. In diesem Zusammenhang spielte das kalifornische Sonnenlicht eine entscheidende Rolle: Es war nicht nur Medium, sondern konstituierendes Element des Kunstwerks selbst. Die sich im Tages- oder Jahresverlauf verändernden Lichtverhältnisse machten diese Arbeiten zu lebendigen, atmenden Gebilden, die sich einer Reproduzierbarkeit entzogen. Besonders in den Sommermonaten entfaltet dieser künstlerische Ansatz seine volle Kraft: Das intensive Tageslicht, lange Schatten und das warme Flirren der Luft wirken wie natürliche Erweiterungen des Werks.
Sali Muller greift diese Prinzipien in ihrer zeitgenössischen Praxis auf und überführt sie in einen neuen konzeptuellen Rahmen. Auch für sie ist Licht nicht bloß ein Mittel zum Zweck – es wird zu einem aktiven Akteur. Ihre Installationen aus Spiegeln, Glas, transparenten Flächen und LED-Elementen schaffen Räume, in denen sich der Blick selbst zurückgeworfen findet. Die Betrachtenden sind nie nur Beobachter:innen, sondern immer Teil des Werks – gefangen in einem Spannungsverhältnis zwischen Sichtbarkeit, Spiegelung und Präsenz. Durch den Einsatz von Licht und Transparenz erzeugt Muller eine Art poetischer Ungewissheit, die sowohl körperlich als auch intellektuell erfahrbar wird.
Diese Erfahrung intensiviert sich im Sommer: Natürliches Licht verstärkt Spiegelungen, bricht sich intensiver auf den Oberflächen und verändert fortlaufend die Wahrnehmung von Tiefe, Raum und Volumen. Wo Turrell mit dem Himmel arbeitete, arbeitet Muller mit dem Menschen – unseren Körpern im Raum, unseren gespiegelten Bildern, unserer Position im Verhältnis zu anderen. Diese temporären, von Licht und Stille erfüllten Räume erhalten eine zeitlose Qualität, die – wie in Kalifornien – weniger das Objekt als vielmehr den Akt der Wahrnehmung in den Mittelpunkt rückt.
Aus kunsthistorischer Perspektive zeigt sich in Mullers Werk, dass die Ideale von Light and Space nichts an Relevanz verloren haben. Im Gegenteil: In einer Gegenwart, die von digitalen Bildern und ständiger visueller Reizüberflutung geprägt ist, fordert ihre Kunst zu aufmerksamer Wahrnehmung auf. Sie erinnert daran, dass Raum nicht nur physisch, sondern auch psychologisch ist – und dass Licht mehr sein kann als Beleuchtung: Es kann zum Träger von Erkenntnis werden. So führt Sali Muller eine der poetischsten Bewegungen der Nachkriegskunst weiter – und bringt sie mit stiller Präzision in die Gegenwart.